Code-Kommentare versus selbstdokumentierender Code: Der Entwicklerstreit

Die Kunst des sauberen Codes: Wann Kommentare wirklich notwendig sind
Abstract
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Bessere Softwareentwicklung: Das richtige Gleichgewicht bei Code-Kommentaren finden
In der Softwareentwicklung gibt es kaum ein Thema, das so polarisiert wie die Frage nach Code-Kommentaren. Auf der einen Seite stehen Entwickler, die ihren Code akribisch mit Anmerkungen versehen, auf der anderen Seite die Verfechter des selbstdokumentierenden Codes. Dieser Artikel beleuchtet beide Perspektiven und zeigt auf, wie moderne Softwareentwicklung diesen scheinbaren Gegensatz auflösen kann.
Die zwei Lager in der Entwicklerwelt
Die Debatte um Code-Kommentare teilt die Entwicklergemeinschaft häufig in zwei Lager. Es gibt diejenigen, die der Meinung sind, dass guter Code ausführliche Kommentare benötigt, um verständlich zu sein. Und es gibt die Gegenseite, die argumentiert, dass wirklich guter Code für sich selbst spricht und keine zusätzlichen Erklärungen benötigt.
Beide Positionen haben ihre Berechtigung, werden aber oft missverstanden. Die Befürworter von Kommentaren streben nach Lesbarkeit und Verständlichkeit des Codes. Die Gegner hingegen wollen den Code selbst aussagekräftiger gestalten, sodass zusätzliche Erklärungen überflüssig werden.
Die Perspektive der Kommentar-Befürworter
Viele Entwickler haben in komplexen Umgebungen gearbeitet - sei es mit Legacy-Systemen, undokumentierten Frameworks oder überdimensionierten Prototypen. In solchen Fällen scheinen Kommentare unerlässlich:
- Sie helfen, schwer verständlichen Code zu erklären
- Sie dokumentieren ungewöhnliche Implementierungen
- Sie dienen als Gedächtnisstütze für den Entwickler selbst
Diese Perspektive ist besonders in komplexen Projekten nachvollziehbar, wo schnelle Orientierung im Code entscheidend ist.
Die Perspektive der Selbstdokumentierungs-Verfechter
Die Gegenseite argumentiert, dass Kommentare problematisch sein können:
- Kommentare werden oft nicht aktualisiert, wenn sich der Code ändert
- Sie können als Ausrede für schlecht geschriebenen Code dienen
- Sie fügen eine zusätzliche Wartungsebene hinzu
Stattdessen befürworten diese Entwickler, den Code selbst aussagekräftiger zu gestalten, vor allem durch sprechende Methoden- und Variablennamen.
Die Problematik veralteter Kommentare
Ein häufiges Argument gegen Kommentare ist ihre Tendenz, zu veralten. Wenn der Code aktualisiert wird, bleiben die zugehörigen Kommentare oft unverändert, was zu Verwirrung führen kann. Ein falscher Kommentar ist schlimmer als gar kein Kommentar, da er Entwickler in die Irre führen kann.
// Berechnet den Durchschnitt der letzten 30 Tage
// Der Kommentar ist veraltet, die Methode berechnet jetzt den Durchschnitt der letzten 7 Tage
public double calculateAverage() {
return calculateAverageForLastWeek();
}
Dieses Beispiel zeigt, wie irreführend veraltete Kommentare sein können und warum manche Entwickler sie grundsätzlich vermeiden möchten.
Die Alternative: Refactoring statt Kommentare
Eine revolutionäre Idee, die in fortschrittlichen Entwicklerteams Anklang findet, ist die Extraktion von Methoden anstelle von Kommentaren. Anstatt eine Codezeile zu kommentieren, wird der Code in eine private Methode mit einem aussagekräftigen Namen extrahiert.
Vor dem Refactoring:
public void processOrder(Order order) {
// Überprüfe, ob der Kunde berechtigt ist
if (order.getCustomer().getStatus() == CustomerStatus.ACTIVE &&
order.getCustomer().getDebtAmount() < MAX_ALLOWED_DEBT) {
// Weitere Verarbeitung
}
}
Nach dem Refactoring:
public void processOrder(Order order) {
if (isCustomerEligibleForOrder(order.getCustomer())) {
// Weitere Verarbeitung
}
}
private boolean isCustomerEligibleForOrder(Customer customer) {
return customer.getStatus() == CustomerStatus.ACTIVE &&
customer.getDebtAmount() < MAX_ALLOWED_DEBT;
}
Dieses Vorgehen macht nicht nur Kommentare überflüssig, sondern verbessert auch die Codestruktur und die Wiederverwendbarkeit.
Wann Kommentare dennoch sinnvoll sind
Trotz der Vorteile des selbstdokumentierenden Codes gibt es Situationen, in denen Kommentare wertvoll oder sogar notwendig sind:
Das "Warum" erklären, nicht das "Wie"
Gute Kommentare erklären nicht, was der Code tut (das sollte aus dem Code selbst ersichtlich sein), sondern warum er es tut. Besonders bei komplexen Geschäftsregeln oder ungewöhnlichen Anforderungen kann ein Kommentar zum "Warum" sehr hilfreich sein.
// Kunde A verwendet einen anderen Workflow als andere Kunden aufgrund historischer Vereinbarungen
if (customer.getId().equals("CUSTOMER_A")) {
processWithSpecialWorkflow(order);
} else {
processWithStandardWorkflow(order);
}
API-Dokumentation
Bei der Entwicklung von Bibliotheken oder APIs, die von anderen Entwicklern genutzt werden, sind Dokumentationskommentare (wie JavaDoc) unverzichtbar:
/**
* Berechnet den Rabatt für einen Kunden basierend auf seinem Status und der Bestellhistorie.
*
* @param customer Der Kunde, für den der Rabatt berechnet wird
* @param order Die aktuelle Bestellung
* @return Der prozentuale Rabatt (zwischen 0.0 und 1.0)
* @throws IllegalArgumentException wenn customer oder order null ist
*/
public double calculateDiscount(Customer customer, Order order) {
// Implementierung
}
Legacy-Code und risikoreiche Änderungen
In Umgebungen, in denen das Ändern des Codes selbst zu riskant ist oder wo automatisierte Tests fehlen, können Kommentare die zweibeste Lösung sein, um Verständlichkeit zu erhöhen.
Alternativen zu Kommentaren in modernen Entwicklungsumgebungen
In fortschrittlichen Entwicklungsumgebungen gibt es mehrere Praktiken, die den Bedarf an Kommentaren reduzieren:
Aussagekräftige Tests als Dokumentation
Gut geschriebene automatisierte Tests, insbesondere Akzeptanztests, können als lebende Dokumentation dienen. Sie zeigen nicht nur, wie der Code funktionieren soll, sondern auch warum bestimmte Funktionen implementiert wurden.
@Test
public void customerA_shouldUseSpecialWorkflow_whenProcessingOrders() {
// Test-Implementierung
}
Ein solcher Testname erklärt bereits die Geschäftsregel, ohne dass ein zusätzlicher Kommentar im Produktionscode nötig wäre.
Pair Programming und gemeinsame Codebasis
Das gemeinsame Programmieren (Pair Programming) und eine gemeinsame Codebasis können ebenfalls den Bedarf an Kommentaren verringern. Wenn Entwickler täglich zusammenarbeiten und die Freiheit haben, Code zu verbessern, wird Wissen effektiver geteilt als durch statische Kommentare.
Voraussetzungen für selbstdokumentierenden Code
Um tatsächlich ohne Kommentare auszukommen, sind einige Voraussetzungen hilfreich:
- Gemeinsame Codebase: Alle Teammitglieder können jeden Teil des Codes verbessern
- Automatisierte Tests: Um sicherzustellen, dass Änderungen keine Fehler verursachen
- Leistungsfähige IDEs: Die automatisches, sicheres Refactoring ermöglichen
- Pair Programming: Zur effektiven Wissensverteilung im Team
Die richtige Balance finden
Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte. Statt sich auf eine dogmatische Position festzulegen, sollten Entwickler und Teams die richtige Balance für ihre spezifische Situation finden.
Faustregel für gute Kommentare
Ein hilfreiches Kriterium: Wenn Ihre IDE oder ein KI-Tool den Kommentar aus dem Code generieren könnte, ist er wahrscheinlich überflüssig. Gute Kommentare sollten Informationen liefern, die nicht direkt aus dem Code ablesbar sind.
Der Kontext entscheidet
Die Entscheidung für oder gegen Kommentare sollte vom Projektkontext abhängen:
- Größe und Komplexität des Projekts
- Zusammensetzung und Erfahrung des Teams
- Vorhandensein von Tests und CI/CD-Pipelines
- Anforderungen an langfristige Wartbarkeit
Fazit: Evolution statt Revolution
Die Debatte um Code-Kommentare sollte nicht als Entweder-oder-Frage betrachtet werden. Vielmehr geht es darum, kontinuierlich bessere Praktiken zu entwickeln und den Code selbst verständlicher zu gestalten. In vielen Fällen ist ein Kommentar ein Hinweis darauf, dass der Code verbessert werden könnte - sei es durch bessere Benennung, Extraktion von Methoden oder andere Refactoring-Techniken.
Der Weg zu wirklich gutem Code führt nicht über mehr oder weniger Kommentare, sondern über eine kontinuierliche Verbesserung der Codequalität und der Entwicklungspraktiken. Teams sollten einen pragmatischen Ansatz verfolgen, der die Lesbarkeit und Wartbarkeit des Codes in den Mittelpunkt stellt - mit welchen Mitteln auch immer.
Häufig gestellte Fragen
Wie viele Kommentare sind zu viele Kommentare?
Wenn Sie feststellen, dass mehr als 10-15% Ihres Codes aus Kommentaren besteht, ist dies ein Warnsignal. Übermäßig viele Kommentare deuten oft auf komplexen, schwer verständlichen Code hin, der refaktoriert werden sollte. Statt mehr Kommentare hinzuzufügen, sollten Sie den Code selbst vereinfachen und klarer strukturieren.
Sollten Kommentare in einem Code-Review geprüft werden?
Absolut. Kommentare sollten mit der gleichen Sorgfalt geprüft werden wie der Code selbst. Falsche, veraltete oder irreführende Kommentare können mehr schaden als nutzen. Im Review sollte auch hinterfragt werden, ob ein Kommentar überhaupt notwendig ist oder ob der Code durch Refactoring selbsterklärender gestaltet werden könnte.
Wie gehe ich mit historisch gewachsenen Codebasen um, die unterschiedliche Kommentarstile verwenden?
Konsistenz ist wichtig für die Lesbarkeit. Etablieren Sie klare Richtlinien für Kommentare in Ihrem Team und wenden Sie sie schrittweise an, wenn Sie an bestehenden Codeabschnitten arbeiten. Verwenden Sie Code-Linter und automatisierte Tools, um einheitliche Formatierung und Dokumentation durchzusetzen. Bedenken Sie jedoch, dass die Verbesserung der Codequalität selbst (durch Refactoring zu klareren Strukturen) oft wichtiger ist als die Vereinheitlichung von Kommentarstilen.
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